Klimaneutralität: „Die spannenden Jahre liegen vor uns“
Im Interview mit dem FNG erklärt Susanne Hasenhüttl, wie die Taxonomie die Greenwashingdebatte beruhigen könnte. Fünf Jahre nach dem EU-Aktionsplan wünscht sie sich außerdem ein Nachdenken über das richtige Verhältnis von Freiräumen und gesetzlichen Leitplanken.
FNG: Österreich bleibt Vorreiter in der Sustainable Finance. Wir erklären Sie sich den hohen Marktanteil Nachhaltiger Geldanlagen?
Susanne Hasenhüttl: Es hat sich früh ein „Österreichstandard“ entwickelt, davon profitieren Finanzunternehmen heute. In den frühen 2000er Jahren wurde das Umweltzeichen für Finanzprodukte aufgesetzt und gleichzeitig haben wir die ÖGUT-Zertifizierung für Vorsorgekassen entwickelt. Als Sparringspartner haben wir das Fondsmanagement gefragt, welche Nachhaltigkeitsansätze die Vorsorgekassen schon anwenden. Gemeinsam haben wir gelernt, wie man nachhaltig Kapital anlegt.
FNG: Die tägliche Arbeit in den ESG-Abteilungen ist inzwischen von der Umsetzung der EU-Gesetzgebung geprägt. Immer wieder hört man die Klage, die Regulierung sei praxisfern ...
Susanne Hasenhüttl: Ich sehe zunächst die positive Seite. Dem EU-Aktionsplan verdanken wir, dass die Nachhaltige Geldanlage immer größere Marktanteile erzielt. Die Gesetzgebung wurde in hohem Tempo geschaffen. Das war phänomenal. Aber leider schwinden die Freiräume.
FNG: ... die sie bei der Entwicklung der ÖGUT-Zertifizierung noch hatten.
Susanne Hasenhüttl: Genau, ich dachte immer: „Wie schön, dass die Vorsorgekassen die Nachhaltige Veranlagung freiwillig vorantreiben.“ Denn wenn ich etwas freiwillig mache, dann mache ich es meistens besser. Gerade Akteure, die schon lange Nachhaltige Geldanlagen auflegen, stehen jetzt vor der Herausforderung, ihre bestehende gute Arbeit an die neuen Vorgaben anzupassen.
FNG: Eine grundsätzliche Kritik an der Regulatorik?
Susanne Hasenhüttl: Nein, das eher nicht. Die Vorreiter der Nachhaltigen Geldanlage brauchten keine Vorgaben. Aber die Masse des Marktes erwischt man leider nur mit Gesetzen. Aber es wäre jetzt an der Zeit, das Verhältnis von gesetzlichen Leitplanken und Freiräumen noch einmal auszutarieren.
FNG: Warum?
Susanne Hasenhüttl: Es reicht nicht, auf die Nachhaltige Geldanlage nur aus der Compliance-Perspektive zu schauen. In der Branche arbeiten Menschen, die in der Welt etwas verändern wollen. Für deren Kreativität sollten wir ein günstigeres Umfeld schaffen.
FNG: Worin liegt die größte Errungenschaft der neuen Gesetzgebung?
Susanne Hasenhüttl: Wir wollen uns bei ÖGUT künftig Gedanken machen, wie wir die Taxonomie in die Portfolioprüfung integrieren können. Ich sehe darin eine Chance, die Glaubwürdigkeit Nachhaltiger Geldanlagen zu steigern.
FNG: Die Greenwashingdebatte setzt der Branche zu ...
Susanne Hasenhüttl: Ja, eine Ursache liegt darin, dass nachhaltige Unternehmen im Portfolio oft nicht auf den ersten Blick grün erscheinen. Viele Anleger:innen denken, wenn sie nachhaltig investieren, legen sie ihr Geld in Photovoltaik, Solarparks oder den Biolandbau an. Man ist dann erstaunt, welche Unternehmen in einem nachhaltigen Fonds tatsächlich enthalten sind. Bislang versuchte man, die Glaubwürdigkeit der Produkte durch immer strengere Ausschlusskriterien zu garantieren.
FNG: ... der Versuch, sich gegen Greenwashing-Vorwürfe zu schützen, indem Produkte immer dunkelgrüner werden.
Susanne Hasenhüttl: Ich finde strengere Ausschlusskriterien durchaus richtig. Bei ÖGUT haben wir entschieden, fossile Energieträger komplett auszuschließen, nicht allein die Energiegewinnung aus Kohle. Wobei es – durchaus berechtigte - Stimmen am Markt gibt, die als Investoren fossile Energieerzeuger bei der Transformation kritisch begleiten wollen, etwa durch Engagement. Die Jury hat sich aber letztlich für den Ausschluss fossiler Energieträger entschieden.
FNG: Und trotzdem führen immer strengere Ausschlüsse nicht aus der Glaubwürdigkeitskrise heraus?
Susanne Hasenhüttl: Richtig, denn wenn wir die Ausschlusskriterien auf immer mehr Branchen ausdehnen, würde das Investmentuniversum soweit schrumpfen, dass ein wettbewerbsfähiges Chance-Risiko-Profil nicht mehr zu erzielen ist. Das Asset Management muss ein Portfolio natürlich über Branchen hinweg diversifizieren können.
FNG: ... vielleicht werden in der Greenwashingdebatte die Erfordernisse des Portfoliomanagements nicht ausreichend mitbedacht ...
Susanne Hasenhüttl: ... ja, vergessen wir nicht, dass die Vorsorgekassen eine Rendite erzielen müssen und das, gerade bei der Altersvorsorge, bei vergleichsweise geringem Risiko.
FNG: Zurück zur Taxonomie – worin liegt nun die Chance, um die Glaubwürdigkeit Nachhaltiger Geldanlagen zu stärken?
Susanne Hasenhüttl: Der Ansatzpunkt ist ein anderer. Die Taxonomie setzt in der Realwirtschaft an und legt fest, welche Wirtschaftstätigkeiten nachhaltig sind. Hingegen geht die klassische Nachhaltige Geldanlage von Kriterien auf Produktebene aus, die dann ein bestimmtes Anlageuniversum ergeben. Das ist natürlich angreifbarer, als eine Taxonomie der Europäischen Union.
FNG: Welche Impulse gehen von Österreich auf die Sustainable Finance-Branche in Europa aus?
Susanne Hasenhüttl: Die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen will, dass Österreich bis 2040 klimaneutral wird. Also fünf Jahre früher als Deutschland und zehn Jahre früher als die Europäische Union. Das setzt die Wirtschaft unter besonders hohen Transformationsdruck. 2040 ist übermorgen, die spannenden Jahre liegen vor uns.
Susanne Hasenhüttl ist seit 2004 Leiterin der Nachhaltigkeitszertifizierung für betriebliche Vorsorgekassen, Pensionskassen und Versicherungen bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT).
Das Interview führte Florian Haenes